Heute startet der dritte Teil der “Fifty Shades of Grey”-Trilogie in den Kinos. ”Befreite Lust” wird die Kassen genauso zum Klingeln bringen wie die beiden Vorgänger. Und die Buchvorlagen, von denen weltweit rekordverdächtige 100 Millionen Exemplare über die Ladentische gingen. Die Marketing- und PR-Branche schaut ratlos hin und fragt sich: Warum? Und vor allem: Wie? Die Antwort ist vermutlich relativ simpel: Mut, Glück – und eine grosse Portion “Scheissegal”.
“Snowqueens Icedragon” – unter diesem Pseudonym schrieb Autorin E. L. James die ersten Sätze von “50 Shades of Grey” ins Internet. Damals hiess ihr Geschichtchen noch “Master of the Universe” und war als Fan-Fiction zu “Twilight” gedacht, die Hauptfiguren denen von Stephenie Meyers Vampir-Saga nachempfunden. Nachdem sie sowohl den Roman als auch die Hauptfiguren umgetauft und anders positioniert hatte, suchte sich die Britin Erika Leonard, wie sie mit richtigem Namen heisst, ein neues Pseudonym, und veröffentlichte ihre Erotik-Story zuerst auf ihrer Homepage, dann als E-Book. Die erste Taschenbuch-Version erschien in einem kleinen australischen Independent-Verlag mit sehr bescheidenem Marketing-Budget. Als PR-Instrumente setzte dieser auf Bücher-Blogs und Rezensionen – und hätte sich wohl nie träumen lassen, was dann passierte.

Klar, Sex sells. Eigentlich fast immer. Aber dass sich Sex dermassen gut verkauft, ist doch eher selten. Es kommt aber eben auch nicht so oft vor, dass sich eine Frau traut, so explizit über Sex zu schreiben. Und nicht über irgendwelchen Sex, sondern über BDSM – Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism. Etwas, das bei einem grossen Teil der Leute bisher als “Sadomaso” verschrien wurde und eher in die Schmuddelecke gehörte. Und plötzlich stellte da jemand diese einschlägigen sexuellen Praktiken nicht nur als einigermassen normal dar, sondern brachte sie sogar in Zusammenhang mit Liebe. Und jede Frau, die sich wegen Fesselungs-Fantasien bisher hinterfragt hatte, konnte aufschnaufen.
Es gibt keine schlechte PR
Dass die Kritiken mehr oder weniger durchgehend so knallhart waren wie Christian Greys sexuelle Vorlieben, tat dem Erfolg von “Fifty Shades” keinen Abbruch – im Gegenteil: Das führte ihn erst recht herbei. Wenn es ein Beispiel gibt, für das gilt, “jede PR ist gute PR”, ist das wohl genau diese Geschichte. Und E. L. James konnte offenbar in Sachen Kritik genauso gut einstecken wie Anastasia Steele die Peitschenhiebe ihres Angebeteten. Von “Kitsch” über “unglaublich schlecht geschrieben” bis hin zu “pure Scheisse” schien nichts ihren Stolz als Autorin zu verletzen. Englische Kritiker erfanden den wenig schmeichelhaften Begriff “Mommy Porn” – zu deutsch “Hausfrauenpornografie” – für ihre Art von Literatur. Und sagten mit dieser Kreation eben auch: Das hier ist etwas Einzigartiges, etwas, das es so noch nie gab. Und das muss man gesehen haben – egal wie schlecht es ist. Und logisch: Ein bisschen Glück war auch dabei. Vermutlich sogar mehr als nur ein bisschen.
Frauen wollen dominiert werden
Dass “Fifty Shades of Grey” eine richtige Welle ausgelöst hat, zeigt ein Blick auf die Seite von C-Date: 33 Prozent der Schweizer Userinnen geben auf der Casual Dating Plattform “dominant/devot” als Vorliebe an – im Gegensatz zu nur 19 Prozent der Männer. Die Schweizer Sexualforscherin Andrea Burri sieht darin evolutionsbiologische Ursachen: “Der Wunsch nach einem starken, dominanten Mann, der sich durchsetzen kann, ist sehr tief in Frauen verankert.” So werden wohl ab heute wieder Tausende von Frauen ins Kino pilgern. Und einer britischen Autorin, die einst unter einem lustigen Pseudonym ein Geschichtchen ins Internet tippte – und das mehr schlecht als recht – noch mehr Geld aufs Konto spülen.